Märchenhaft.....................................................................................................................................- zurück zu Index Erzählungen
Vor gar nicht langer Zeit gelangte eine junge, liebliche, herzallerliebste Prinzessin, die dem Reisen besonders zugetan war, an eine reiche Küste. Sie hatte schon immer davon geträumt, die Welt kennenzulernen, aber Des Dunklen Reiches finstere Mächte hatten das Territorium eingezäunt und bewachten es scharf, so dass es ihr nicht möglich gewesen war, ihren Träumen zu folgen und den zarten Fuß auf Erden zu setzen, die sie in gelehrten Büchern gar fleißig studiert hatte. Doch die Geschicke der Welt, die sich auf geheimnisvolle Weise mit ihrem eigenen Schicksal verknüpfen sollten, wollten es, dass das Volk sich eines Tages ein Herz nahm, die finsteren Mächte vertrieb und auch den riesigen Zaun niederriss, so dass nichts mehr von ihm übrigblieb.
Die Prinzessin war darob sehr glücklich, sie tanzte und sang frohen Herzens, umarmte alle Menschen, die sie traf, und schickte sich an, die Welt zu erkunden. Sie verabschiedete sich von allen, die ihr lieb waren, sagte zu dem Vasallen, dem sie versprochen war, ein Auf Nimmerwiedersehen, wollte der sie doch, so war ihr kund geworden, in Ketten werfen, wenn die Gelegenheit günstig sei.
Da sie so einfühlsam war, dass sie sich sogar mit den Tieren verständigen konnte, bat sie eines schönen Tages einen Kranich, dass er sie doch über das große Wasser bringen möge. Sie sei zwar des Schwimmens kundig, aber für solcher Art Abenteuer, ausgeliefert den Launen des Meeresgottes, nicht gerüstet. Der Kranich erklärte sich einverstanden, denn es gelüstete auch ihn nach den fernen Gestaden, setzte sie auf seinen Rücken, und so flogen sie eine ganze Nacht und noch einen halben Tag, bis sie aus den guten Lüften einer Ansiedlung gewahr wurden, die an dem Ufer eines breiten silbernen Flusses lag. Dort gingen sie nieder, der Kranich wollte noch weiterfliegen zu einem anderen Meer jenseits der himmelhohen Berge, von dem ihm seine Kameraden berichtet hatten, verabschiedete sich darum von der Prinzessin und flog seiner Wege.
Die Prinzessin aber nahm Heimstatt in der Ansiedlung der guten Lüfte und, da sie ein weiches und goldenes Herz besaß, gab sie auch einem Tagelöhner, der sich heimlich im Gefieder des Kranichs versteckt hatte, Herberge.
So vergingen die Tage, und eine immer größer werdende Unruhe bemächtigte sich der Prinzessin. Immer wieder führte sie ihr Weg hinunter zum Ufer des Silberflusses, der so breit war, dass man die andere Seite nicht ausmachen konnte. Sooft sich ihr die Gelegenheit bot, stieg sie in einen der Nachen, die, von kundiger Hand geführt, den Fluss überquerten, um sich in dem Land östlich des Silberflusses umzutun. Doch sie fand nicht, wonach ihr Herz verlangte, und jedes Mal, wenn sie wieder in ihr Heim zurückgekehrt war, wurde sie sich gewisser, dass hier, in der Ansiedlung der guten Lüfte des Bleibens nicht sei.
Es geschah nun, dass ein Gesandter vom Hofe der reichen Küste dortselbst weilte und Kunde von ihr erhielt. Es gelang ihm, ihrer ausfindig zu werden und sie zu bitten, ihm in sein Land zu folgen, um ob ihrer hohen Bildung die Zöglinge der reichen Küste in die Geheimnisse fremder Sprachen einzuweisen und auch den anderen damit Betrauten hilfreich zur Seite zu stehen. Die Prinzessin willigte gerne ein, schnürte ihr Bündel und verließ das Heim, das ihr nicht zur Heimstatt geworden war, um dem Hofe an der reichen Küste zwischen den Meeren dienstbar zu sein, wohl hoffend, nun daselbst der Erfüllung teilhaftig zu werden. Sie nahm auch den Tagelöhner mit sich, der sie inständig ersucht hatte, in ihrer Obhut bleiben zu dürfen.
Doch obwohl die Zöglinge und die mit der Unterweisung Betrauten ihr von Herzen zugetan waren, wurde die Prinzessin immer trauriger. „Was nützt es, wenn mich alle Menschen lieben, ich selbst aber niemandem mein Herz schenken kann?“, dachte sie oft, wenn sie sich müde vom Tagwerk in ihrer Kammer auf ihre Bettstatt legte.
Es trug sich nun zu, dass in die Hauptstadt des schmalen Landes jenseits der himmelhohen Berge, dort, wohin der Kranich weitergezogen war, Abgesandte des ganzen Erdteils gerufen wurden, ihr Wissen sich mitzuteilen und neue Wege der Unterweisung zu erkunden. Die Prinzessin erhielt die Weisung, den weiten Weg anzutreten und der reichen Küste würdige Sprecherin zu sein.
Im Land östlich des Silberflusses, zu Füßen des Berges, den man wasserseits sieht, wohnte seit vielen Jahren ein Prinz, der den Auftrag erhielt, auch in das schmale Land zu reisen, um von dort alles mitzubringen, was dem Hofe frommen könnte. Obwohl die Zöglinge und die mit der Unterweisung Betrauten ihm von Herzen zugetan waren, war er immer trauriger geworden und sein Herz war leer. „Was nützt es, wenn mich alle Menschen lieben, ich selbst aber niemandem mein Herz schenken kann?“, dachte er oft, wenn er sich müde vom Tagwerk in seiner Kammer auf seine Bettstatt legte. Er hatte in seinem Schloss eine Tagelöhnerin aufgenommen, die um seine Obhut heischte und so tat, als ob das Schloss ihr zu eigen sei und der Prinz zu jeder Stunde ihr dienstbar sein müsse. Ob des Umstandes, sieben Tage lang an einem anderen Ort weilen und die freie Luft der himmelhohen Berge atmen zu können, war dieser über die Maßen glücklich. Insgeheim hatte er bereits beschlossen, dem Treiben der Tagelöhnerin ein Ende zu bereiten und die Gelegenheit zu nutzen, bei ihrer Familie, die in dem schmalen Lande ansässig war, vorstellig zu werden und sie von seinem Entschluss in Kenntnis zu setzen. Und so geschah es.
Als der Prinz am frühen Morgen des ersten Tages in der fremden Hauptstadt den großen Saal betrat, um sein Frühmahl einzunehmen, waren dort bereits alle Abgesandten versammelt, denn es waren ihnen in derselben Herberge Gemächer gerichtet worden. Wie nun der Blick des Prinzen über die Anwesenden wanderte, hob auch die Prinzessin ihr Antlitz - und ein mächtiger Zauber legte sich in ihre Herzen und entzündete ihre Seelen. Fürderhin trachteten sie danach, dem anderen nahe zu sein. Sie hörten wohl, was die anderen beredeten und beratschlagten, aber mehr noch vernahmen sie die Sprache ihrer Herzen.
Es näherte sich der sechste Tag, an welchem alle Abgesandten sich wieder in ihre Länder, aus denen sie gekommen waren, begeben sollten, und die Prinzessin und den Prinzen überkam große Furcht, hatten sie sich doch ihre allertiefste Zuneigung, im wahren Leben Liebe geheißen, offenbart. Sie waren sich gewiss geworden, dass sie nur im anderen erfüllt und in vollem Glücke weiterleben könnten. Doch ihre Aufgaben am Hofe riefen die Prinzessin an die reiche Küste zurück, und der Prinz hatte seinen Verpflichtungen am Silberfluss nachzugehen. So sagten sie einander wunden und bangen Herzens Lebewohl, sannen jedoch darauf, dass durch die zwischen ihnen liegenden Flüsse, Gebirge, Urwälder und Fiebersümpfe ihrer Liebe kein Schaden zugefügt werde. Sie flehten die guten Mächte an, und wahrlich hatte der Himmel ein Einsehen und stellte ihnen seine Boten zur Verfügung, auf dass die Botschaften der Liebenden in Eile die Lüfte von der reichen Küste zum Silberfluss und umgekehrt durchquerten.
Doch obwohl ihnen der Himmel dergestalt zur Seite stand, verzehrten sich die Prinzessin und der Prinz in Sehnsucht, dass es ihnen fast das Herz brach. Denn es gibt keine Liebe auf der Welt, die sich in der Einsamkeit vollendet.
Die Prinzessin erfasste ein rätselhaftes Fieber, sie fühlte sich krank und schwach und keiner der Weisen, die sich auf die Kräuterheilkunde verstanden, wusste ihr zu helfen. In ihren Fieberträumen sah sie sich gesund und der Lebensfreude voll in den Armen ihres geliebten Prinzen, aber wenn sie erwachte, ergriff neue Trauer ihr Herz, war sie sich doch gewiss, dass es nur ein Traum gewesen war. Als dem Prinzen die Botschaft von dem Zustand seiner geliebten Prinzessin kundgetan wurde, umwölkte tiefe Sorge seine Stirn. Er schickte einen neuen Himmelsboten aus, auf dass sie der Suche nicht müde werde, einen Weisen zu finden, der ihr helfen könne. Tage gingen ins Land, bis die Prinzessin einen Fingerzeig auf einen Kundigen erhielt, der ganz in der Nähe ihres Schlosses gar mancherlei Heilungen vollbracht hatte. Dorthin setzte sie ihren Fuß, wurde von dem Weisen in sein Häuslein aufgenommen und erhielt auch mannigfache Kräutlein, die bald schon das Fieber vertrieben und der Prinzessin neue Hoffnung gaben.
Alsdann kam sie mit dem Prinzen überein, in das Land zurückzukehren, aus dem sie einst in die weite Welt aufgebrochen waren, denn niemals mehr sollte einer von beiden in der Not auf sich allein gestellt bleiben. Die Prinzessin schickte sich an, einen Kondor zu bitten, sie über das große Wasser zu tragen, und der Prinz wollte desgleichen mit einem Kranich tun, der des Weges vorüberzöge, denn auch er verstand sich auf die Sprache der Tiere. Jenseits des großen Wassers würden sie gemeinsam ein Schloss suchen, in dem sie glücklich und in Freuden leben könnten. In ihren Nachkommen aber könnten sie der ganzen Welt künden, dass jede Küste eine reiche Küste, jeder Fluss ein Silberfluss und jedes Häuslein ein Schloss ist, wenn aus Zweien Eins geworden ist.
Und so geschah es.
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