Peter-Michael Sperlich............................................................................................................................ - zurück zu Index Erzählungen
Tauwetter
Da hatten sie sich den Winter über schon so manchen Schneeschiebewettbewerb geleistet, ohne dass ein Außenstehender hätte sagen können, wer denn nun der Gewinner der beiden Eiferer gewesen ist. Das Schicksal oder vielleicht auch ein Fluch hatte Otto Willmer und Hugo Busch zu Nachbarn gemacht.
„Wenn ich gewusst hätte, wer da eines Tages neben mir wohnen würde, hätte ich das Haus nie gekauft“, meinte Otto immer wieder.
„Wenn ich gewusst hätte, wer da wohnt, hätte ich das Grundstück nie gekauft und darauf gebaut“, stöhnte Hugo fast jeden Tag.
Von Anfang an waren die beiden sich nicht grün gewesen. Warum, wusste im Grunde keiner von ihnen. Es war einfach so, dass die Chemie zwischen beiden nicht stimmte, und so legten sie es immer wieder darauf an, den jeweils anderen zu übertrumpfen oder ihm eins auszuwischen.
Otto hatte den Neuen da neben ihm gleich misstrauisch beäugt, weil er doch gerne gewusst hätte, was für ein Vogel da neben ihm ein Haus hochzog. Den ersten Zusammenstoß hatten sie, als Hugo mit einem geliehenen Bagger unachtsam das an der Grundstücksgrenze neu hergerichtete Beet Ottos niederwalzte. Die darauffolgende gebrüllte Auseinandersetzung klang den anderen Nachbarn noch tagelang in den Ohren. Einige hatten sogar eine ganze Reihe Schimpfwörter neu dazugelernt.
Seit diesem Tag belauerten sich die beiden jeden Tag aufs Neue, doch als sie dann keine Fehler oder andere Steine des Anstoßes mehr finden konnten, begannen sie sich gegenseitig zu übertrumpfen.
Otto setzte eines Tages einen dekorativen Holzzaun auf die Grundstücksgrenze, Hugo reagierte mit der Anpflanzung von Thujas, die den Zaun bald verdecken würden. Otto stellte sich einen Brunnen in den Vorgarten, Hugo reagierte mit Skulpturen von schmiedeeisernen Flamingos. Sie reinigten fast täglich gewissenhaft den Bürgersteig vor ihren Häusern, so dass kein Blättlein Laub mehr zu sehen war. Mähte Otto den Rasen, ging auch Hugo sofort nach draußen und warf seinen Rasenmäher an.
Es war ein Wettbewerb ohne Regeln, ohne Ziel und ohne Grund, bei dem keiner von beiden eigentlich nach dem Sinn ihres Tuns fragte. Es war eine irrationale Besessenheit, für die die Ehefrauen der beiden schon lange kein Verständnis mehr aufbrachten. Auch im gesamten Dorf, in dem das Verhältnis der beiden zunächst Gesprächsstoff bot, mit der Zeit aber nur ein Kopfschütteln hervorrief, hatten sich die Einwohner immer mehr von den beiden notorischen Streithähnen distanziert, ja, man spottete und riss Witze über sie, wohl nicht direkt ins Gesicht so doch grinsend hinter ihren Rücken.
Nach vorübergehend milderen Temperaturen trieb ein neuer Schneefall Otto und Hugo um fünf Uhr morgens aus ihren Häusern, um eifrig und gewissenhaft den Bürgersteig vom Schnee zu befreien, ohne sich auch nur eines Blickes zu würdigen. Es war noch tiefe Nacht, aber das Licht der einzigen Straßenlaterne zauberte unzählige glitzernde Sterne in den weißen unberührten Unschuldsschnee, sie jäh auslöschend durch die blind geführten Schneeschieber und Besen. Hugo war mit seinem Bürgersteig fast fertig, als er plötzlich einen dumpfen Plumps und einen unflätigen Fluch gepaart mit einem Schmerzenslaut hörte. Er schaute nun doch den Bürgersteig entlang zu seinem Nachbarn, der wie ein dunkler unförmiger Brocken auf der Erde lag und leise stöhnte. Sofort war ihm die Situation klar. Unter dem Schnee hatte sich eine Eisschicht gebildet, auf der sein Nachbar ausgerutscht war, als er den Schnee zur Seite geschoben hatte. Hugo zögerte, unschlüssig, was er nun tun sollte und beschränkte sich erst einmal auf das Beobachten. Otto versuchte mühsam aufzustehen, was ihm einfach nicht gelingen wollte, wobei er ein schmerzvolles Stöhnen hören ließ. Immer noch zögernd bewegte sich Hugo nun auf Otto zu bis er neben ihm stand, ein wenig hilflos, hatten sie doch seit Jahren kein Wort mehr miteinander gewechselt, und ihn fragte, was denn passiert sei.
„Das siehst du doch, du Idiot!“, schnauzte ihn Otto mit schmerzverzerrtem Gesicht an. „Ich leg mich beim Schneeschippen immer hin!“ Und etwas milder: „Ich glaube, ich habe mir wirklich weh getan! Ich kann nicht aufstehen!“
Da wusste Hugo sofort, was zu tun war.
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