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Gott sei Dank hat es auf dem Heimweg vom Büro heute keinen Stau gegeben. Ich bin wider Erwarten schon nach zehn Minuten zu Hause angekommen. Toll, so pünktlich! Ich werde seinen Anruf also nicht verpassen.
Er hat es mir versprochen. Um 17.30 Uhr will er mich anrufen. Jetzt ist es gerade mal 17.00 Uhr, also habe ich noch eine halbe Stunde, um privat zu werden, mich zu duschen, umzuziehen und mich ein bisschen zurechtzumachen.
Bestimmt, ja, ganz bestimmt wird er mir vorschlagen, irgendwohin zu gehen, irgendwo etwas essen, romantisch, dann woanders eine Kleinigkeit trinken, ich wüsste schon wo, da, wo man auch ein bisschen tanzen kann, ja, und dann …
„Mechthild, hör auf zu träumen, wer weiß, wie sich alles entwickelt, immer du mit deinen Tagträumen, deinen Wunschträumen!“, ermahne ich mich selbst, als ich schließlich anfange, mir die Haare zu fönen.
Ich bin gespannt, aufgeregt, ach, wie habe ich mich auf diesen Abend gefreut. Im Büro habe ich heute oft nur so getan, als ob ich arbeite. Meine Gedanken sind fort geflogen, weit weg, hin zu unserem ersten Treffen…
Er hatte einen so – selbstsicheren Eindruck gemacht… chic, ja, richtig chic ist er gewesen, seine Sachen müssen richtig Geld gekostet haben… so jung noch und schon so viel Geld, na ja, ist ja kein Verbrechen, viel Geld zu haben… und dann das Auto, mit dem er mich nach Hause gefahren hat, ein Traum…
Aber jetzt, jetzt bin ich hier, noch drei Minuten und das Telefon müsste klingeln. Ich stelle mir seine Stimme vor, wie sie wohl am Telefon klingen mag… wird sie weicher klingen oder härter, markanter – männlicher? Gleich weiß ich es! Gleich!
Ich fixiere das Telefon. Nun klingle schon! Es schaut mich unverwandt an und schweigt. Es will nicht, will es nicht oder kann es nicht? Hat er es vergessen? Ist ihm etwas passiert? Warum ruft er nicht an?
Wenn man etwas verspricht, muss man es halten! Wieso verspricht er etwas, wenn er es nicht halten kann? Will er überhaupt anrufen?
Schon 17.45 Uhr. Eine Viertelstunde sitze ich hier vor diesem blöden Telefon und starre es an. Was fällt ihm ein, mich hier so sitzen zu lassen? Will er mich versetzen? Wie oft bin ich eigentlich schon versetzt worden? Hm, eigentlich noch gar nicht, zumindest hatten die Typen so viel Anstand im Leib gehabt, mir abzusagen, manchmal mit den lächerlichsten Ausflüchten, aber immer abgesagt. Aber der hier?
Dabei schien er so nett, so gebildet, so gut erzogen… Irgendwie hatte er in mir eine Seite berührt, die ich schon lange nicht mehr wahrgenommen hatte, ich fühlte mich richtiggehend hingezogen, seltsam…verdammt gut sah er ja aus, wirklich, so richtig appetitanregend, naja – diese häufige Handy-Klingelei hat schon etwas gestört, aber egal…
Das hätte ich ihm jedenfalls nie zugetraut, einfach nicht anzurufen. 18.00 Uhr! Was soll ich nur machen? Wie viel Mal bin ich jetzt schon zum Spiegel gelaufen und habe… vielleicht ist ihm ja doch etwas dazwischen gekommen… Gut, dann wenigstens ein Schnäpschen zum Vorglühen… riech’ ich eben nach Alkohol, na und?
Anrufen hätte er doch wenigstens können, das ist doch wohl das Mindeste… 18.07 Uhr, also jetzt gebe ich ihm noch exakt 8 Minuten und dann, dann aus und vorbei, endgültig! 18.14 Uhr… noch eine Minute. … 18.15 Uhr … Er ruft einfach nicht an! Männer! Scheißmänner, Scheißtelefon, Scheißwarten, alles, verdammt… Aber nein, Freundchen, den Gefallen tue ich Dir nicht, keine einzige Träne bist du wert, nicht eine. Wenn ich mir nur nicht solche Hoffnungen gemacht hätte, warum bin ich immer wieder so blöd, so dumm, so dämlich, ich könnte…, warum klingelst Du nicht, du elendes Telefon, warum rufst du nicht an, du elender Mistkerl? Warum warte ich wie eine Blöde hier auf jemanden, der sowieso nicht kommen wird, was ist mit dir los, Mechthild?
Ich bleibe nicht zu Hause, das steht fest, ich rufe Janine an und wir beide machen uns einen vergnügten Abend, aber… wenn er nun gerade anruft, wenn ich mit Janine spreche? Oh, nein, nein, nein! Freundchen, fünf Minuten gebe ich Dir noch, dann ist wirklich Schluss. Wieso eigentlich Schluss, wo doch noch gar nichts angefangen hat?
Jetzt einfach weggehen, gar nicht wiederkommen, lass ihn sich doch die Finger wund tippen an seinem Telefon, lass ihn doch stundenlang das Rufzeichen hören, lass ihn doch sich fragen, was mit mir ist, warum ich nicht zu Hause bin, Dreckskerl der, oder sich von der Ambulanz wegbringen lassen, weg, für Tage…
Ambulanz? So nahe? Was macht die Ambulanz vor meinem Haus? Wieso steht dort unten auch Polizei? Was ist das für ein Lärm im Treppenhaus? Was mag denn da los sein? Soll ich… Ich sehe nach, unten, im Erdgeschoss.
Vom letzten Treppenabsatz kann ich etwas sehen. Es stehen noch mehr Leute da und recken die Hälse. Neugierige Gaffer!
Zwei Sanitäter heben ihn gerade auf die Bahre, schlaff, leblos, bleich, ein roter Faden … Blut … wandert vom Mund … über Wange … und Nase … zur Stirn … und verschwindet … in einem kleinen Loch.
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