Einquartiert............................................................................................................................ >> zurück zu Index Erzählungen


Die Frau stand abwartend in einer Haltung der Ergebenheit auf der anderen Straßenseite. Ihr Blick in einem von Resignation geprägten Gesicht verlor sich irgendwo auf dem Hof des Hauses, gegenüber dem sie stehen geblieben war. Das Mädchen neben ihr schaute ohne eine Miene zu verziehen den kleinen Jungen an, der auf einem Brett saß, das quer über den wie ein Puppenwagen anmutenden, schon stark beschädigten Kinderwagen gelegt war, aus dem ein hell rötlich leuchtendes Köpfchen hervorlugte. Es gab dem ganzen, unwirklich erscheinenden Bild von Traurigkeit und Verlassenheit einen winzigen Lichtpunkt, der die beobachtenden Blicke von den ärmlichen und schon abgetragenen Kleidern der drei anderen fortzog.
Die Frau konnte die kalt und verschlossen musternden Augen hinter den Gardinen des Erdgeschosses nicht sehen. Vielleicht wäre sie dann noch mehr in sich zusammen gesunken.
So setzte sie nun einen kleinen, schäbigen Koffer neben sich ab und streifte beim Aufrichten mit ihren Augen über das gegenüberliegende, ganz mit Schiefer verkleidete Haus, den unregelmäßigen, schlecht gepflasterten Hof mit dem Misthaufen gleich neben der Haustür, den Gemüsegarten, der dicht hinter dem Haus den Hügel hinan stieg, für einen kurzen Moment nur verweilend auf den zwei Fenstern des ersten Stockes, die leer und ohne Gardinen auf sie herabblickten. Dann öffnete sie ihre auch schon arg mitgenommen aussehende Handtasche und entnahm ihr ein Papier, das sie auseinanderfaltete, um anschließend ihre Augen zwischen dem Papier und dem Haus hin- und her wandern zu lassen. Das Papier in der Rechten ergriff sie die Schubstange des Kinderwagens, das Mädchen neben ihr hob das Köfferchen auf und fasste nach dem Kinderwagenrand, ein Blick nach links und rechts, der eigentlich gar nicht nötig gewesen wäre, denn hier schien nur ganz selten ein Auto vorbeizukommen, und die kleine Gruppe begann nun zielstrebig die Straße zu überqueren, betrat den zur Straße offenen Hof und näherte sich der Haustür.
Die Augen hinter den Gardinen des Erdgeschosses konstatierten: ärmlich, nicht gut ernährt, Mutter um die 40, Mädchen vielleicht 7 oder 8, Junge 2, Baby. Das sind sie dann ja wohl.
Die Frau klopfte zaghaft an die Haustür, den Bogen Papier in ihrer Hand gleichermaßen präsentierend wie auch verteidigend vor sich haltend, wie wenn man sich an der Grenze in ein anderes Land auf die Kontrolle vorbereitet und sich ausweisen muss. Auf das zweite Klopfen öffnete sich die Tür, eine wohlbeleibte Frau, anscheinend die Bäuerin, mit vorgebundener Schürze und einem Kopftuch trat aber nicht aus dem im Halbdunkel liegenden Hausflur in die Sonne. In ihrem Gesicht, in dem die Augen zu kleinen Schlitzen zusammen gekniffen waren, ob wegen der draußen herrschenden Helligkeit oder um die Ankömmlinge besser taxieren zu können, war nicht zu erkennen, konnte man deutlich ihre Distanziertheit und Ablehnung lesen, ja sie unternahm nicht einmal den Versuch, diese Einstellung zu verbergen.
„Guten Tag,“ sagte die Frau draußen im Hof, so als wolle sie gleich zu einer unterwürfigen Entschuldigung ansetzen, „ich …“
„Kann ich mir schon denken“, unterbrach sie die Bäuerin barsch, zog ihr gleichzeitig das Blatt Papier aus der Hand, hielt es so hoch, dass sie ihr Gesicht damit verdeckte und ließ es nach einer Weile, in der immer wieder nur ein mürrisches „Hm“ zu hören war, wieder sinken. „Ihre Ausweise?“, war ihre nächste Aufforderung. Dienstfertig öffnete die Frau ihre Handtasche, holte einen Ausweis heraus und reichte ihn der Bäuerin. „Hier, meiner, die Kinder …“
„Ist egal!“, unterbrach sie die Bäuerin erneut, warf einen Blick darauf, gab ihn der Frau zurück und halb im Umdrehen sagte sie zu der Frau „Oben!“. Dann öffnete sie eine gleich neben ihr befindliche Tür, steckte den Kopf hindurch und rief: „Ich geh’ mal eben nach oben! Die Pollacken sind da!“

 

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